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Fintechs – War es das jetzt oder geht da noch was?

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Die komplexe Beziehung zwischen Fintechs und Banken: Eine Analyse in vier Epochen 

Die Beziehung zwischen Fintechs und Banken ist ein fesselndes Kapitel der jüngeren Geschichte der Digitalisierung. Von anfänglicher Ignoranz bis hin zu einem Status der Co-Opetition: Der Text analysiert in vier Epochen, wie sich die Interaktionen zwischen den beiden Lagern entwickelt haben. 

Dieser Text erschien zuerst in inhaltlich abgeschwächter Form in der Printausgabe der Zeitschrift „Bankinformation – Das Fachmagazin der Volksbanken Raiffeisenbanken“ in der Ausgabe 03/2024 mit dem hoffnungsvollen Titel „Fintech – Ist der Hype vorbei?“. Hier ist nun die unveränderte Version des Textes.

Die komplexe Beziehung zwischen Fintechs und Banken: Eine Analyse in vier Epochen 

Fintechs und Banken führen eine wechselhafte Beziehung. Beide Seiten hätten die Kunden, und die damit verbundenen Umsätze und Gewinne, am liebsten für sich allein. Nach vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten der Koexistenz, kann man feststellen: So einfach ist es nicht. Hätten Fintechs und Banken eine Facebook-Seite, dann wäre der Beziehungsstatus: Kompliziert.

Fintech-Startups, die schon vor Jahren oder Jahrzehnten in den Markt eingestiegen sind, mögen sich als Pioniere gefühlt haben. Die berühmten Worte  von Mahatma Gandhi, die Führungsfigur der indischen Unabhängigkeitsbewegung,  waren einst ihr Credo: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“

Ganz so ist es bis heute nicht gekommen, wie jeder weiß. Fintechs haben die etablierten Banken, und auch damit die Volksbanken, nicht verdrängt. Aber das Zitat von Gandhi eignet sich trotzdem hervorragend, um die Geschichte des Verhältnisses von Fintechs und Banken in vier Epochen einzuteilen: 

  • Erste Epoche – Banken ignorieren Fintechs: Startups nutzen technologische Innovationen und bauen digitale Finanzprodukte. Banken zeigen sich arrogant und ignorieren diese Marktentwicklungen. 
  • Zweite Epoche – Banken lachen über Fintechs: Die digitalen Finanzprodukte werden von den Kunden auch angenommen. Die Kundenerwartungen an Finanzprodukte steigen. Bequemlichkeit ist Trumpf. Banken müssen mitziehen, um ihre Existenzberechtigung auf dem Markt zu behalten. Es wird deutlich: Die Anpassungsgeschwindigkeit der Banken ist eklatant langsamer als die der Herausforderer. 
  • Dritte Epoche – Banken bekämpfen Fintechs: Die Beziehung erreicht den Status der Co-Opetition, d.h. dass beide Seiten an einigen Stellen miteinander konkurrieren, an anderen Stellen aber miteinander kooperieren. 
  • Vierte Epoche – Fintechs besiegen Banken: Nagut, soweit ist es nicht gekommen. Noch nicht. Ein Ausblick in die Zukunft. 

Erste Epoche – Banken ignorieren Fintechs

Paypal ist das Paradebeispiel für ein Fintech der ersten Stunde. Gegründet von einer Gruppe von Startup Gründern, die heute als Paypal-Mafia bekannt sind. Elon Musk und Peter Thiel zählen heute zu den umstrittensten und auch erfolgreichsten Unternehmern der Welt. Die Geschichte von Paypal begann mit Ebay, dem elektronischen Flohmarkt in den USA. Die Vermittlung von gebrauchten Krempel quer über den nordamerikanischen Kontinent klappt schon ganz gut. Allein der Bezahlvorgang war ein echtes Hindernis: Ebay-Käufer schickten eingangs tatsächlich papierhafte Schecks mit der Post zu den Verkäufern. Ein Zustand, der nach einer digitalen Lösung geradezu schrie. Und Paypal bediente genau das. Ein elektronisches Bezahlverfahren für Privatpersonen. 

Banken hielten an ihren Schecks aus toten Bäumen fest und zeigten sich sowohl vom Problem der Kunden als auch von den Lösungsversuchen der Startups unbeeindruckt. 

Für die Ebay-Nutzer spielte es keine Rolle, welche Bank den Scheck des Verkäufers ausstellte und welche Bank den Scheck des Käufers einlöste. Dieses System war offen und innerhalb der teilnehmenden Banken flexibel. Im Gegensatz dazu beschränkt sich Paypal: Zahlungen von einem Nutzer zum anderen sind nicht mit anderen Zahlungssystemen möglich, sondern nur innerhalb von Paypal selbst. Das System ist geschlossen, ein Aspekt, der für Banken und auch für Paypal selbst noch erhebliche Bedeutung haben würde. 

Zweite Epoche – Banken lachen über Fintechs

Den Gründern von Paypal gelang es nicht nur die Ebay-Nutzer als Kunden für sich zu gewinnen, sie setzten sich damit auch rigoros gegen die anderen Startups durch, die die Marktlücke ebenfalls erkannt hatten. Alle anderen mussten aufgeben. 

Digitalisierung, digitaler Strukturwandel, digitale Transformation – sind alles Begriffe, die ähnlich klingen, aber nicht dasselbe bedeuten. Paypal hat den Bezahlprozess für eine Flohmarkt-Plattform digitalisiert. Thorsten Dirks, CEO von Telefónica Deutschland, hat einmal gesagt „Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.”. Das ist Digitalisierung in seiner einfachsten Art. Paypal hat diesen Fehler nicht gemacht und die Schecks nicht einfach digital per E-Mail verschickt. 

Stattdessen hat Paypal eine Zahlungsplattform geschaffen, auf der sich Nutzer registrieren und Geld an andere registrierte Nutzer senden können. Obwohl dies für neue Nutzer gewisse Einstiegshürden mit sich bringt, ermöglicht es danach eine bequeme Nutzung. Papierschecks oder das mühsame Eintippen von Kontonummern mit zu vielen Ziffern, in der europäischen Variante, entfallen.

Paypal profitiert von Netzwerkeffekten: Je mehr Kundinnen und Kunden Paypal als Zahlungsmittel nutzen wollen, desto mehr Stellen wollen Paypal als Zahlungsoption anbieten. Umgekehrt gilt: Je mehr Stellen Paypal anbieten, desto attraktiver wird es für Verbraucher, Paypal zu nutzen.

Durch diese Netzwerkeffekte hat Paypal die Spielregeln verändert. Es handelt sich nicht mehr um eine einfache Digitalisierung, sondern um einen digitalen Strukturwandel.

Das Nutzerwachstum von Paypal ist beeindruckend. Weltweit nutzen heute Millionen Menschen den Service. Seit 2004 ist Paypal in Deutschland aktiv und zählt hier mittlerweile 32 Millionen Nutzer. Im Vergleich dazu haben die genossenschaftlichen Banken gerade 18 Millionen Kunden.

Seit der Gründung von Paypal haben sich die Erwartungen der Nutzer an Finanzdienstleistungen verändert. Immer digitaler, bequemer und auch gerne kostengünstiger soll es sein.

Diese neuen Kundenerwartungen gelten auch für Volksbanken, ob sie es wollen oder nicht. Daher ist es wichtig, die eigenen Kundenkanäle und möglicherweise auch das Kundenportfolio anzupassen. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Anpassungsgeschwindigkeit von Banken im Vergleich zu Fintechs nicht besonders hoch ist. Keine gute Nachricht für das Wettrennen mit den Startups. 

Eine weitere Herausforderung sind die bekannten Skaleneffekte, die neben den Netzwerkeffekten bestehen bleiben. Diese besagen, wie aus der Volkswirtschaftslehre bekannt, dass die Produktion einer Einheit umso günstiger wird, je mehr davon produziert wird. Ein einfaches, aber in der Branche sehr emotionales Beispiel ist die Kontoführung: Je mehr Kunden ihre Konten bei einer Bank führen, desto besser können die Fixkosten auf die Kunden verteilt werden. So weit, so logisch.

Zwischen einer Filialbank und einer Neobank besteht jedoch ein erheblicher Unterschied in der Kostenstruktur. Bei einer Filialbank ist persönliche Beratung integraler Bestandteil des Konzepts. Bei einer Neobank ist sie nur das letzte Mittel, wenn alle anderen Formen der automatisierten Kundenkommunikation versagt haben. Das Verhältnis von fixen zu variablen Kosten ist entscheidend. Neobanken versuchen, die variablen Kosten so gering wie möglich zu halten, scheuen dabei aber nicht vor hohen Investitionen in digitale Produkte und Prozesse zurück.

Paypal wird in dieser Epoche von den Banken weiterhin nicht ernst genommen. Solange, bis es zu spät sein wird. 

Dritte Epoche – Banken bekämpfen Fintechs

In der dritten Epoche werden Fintechs und Banken zu „Frenemies“, also Freund und Feind zugleich.

Die Versuche der deutschen Kreditwirtschaft, Paypal einzuholen, gestalten sich schwierig. Der erste Versuch, Paydirekt, ist bereits gescheitert. Nun wird die European Payments Initiative – EPI – ins Rennen geschickt. Die Netzwerkeffekte von Paypal sind jedoch extrem stark und für neue Herausforderer nur schwer einzuholen. Die neuen Herausforderer sind in diesem Fall die Banken, die das Thema Payment jahrzehntelang vernachlässigt haben – ein klassisches Beispiel für das „Innovator’s Dilemma“ aus dem Lehrbuch von Clayton Christensen.

In anderen Bereichen waren die Banken jedoch erfolgreicher. Im Jahr 2026 wird das gesetzliche Verbot des „Payment-for-Orderflow“ (PFOF) eingeführt. Dieser Trick, der es den Neobrokern ermöglichte, ihren Nutzern günstige oder sogar kostenlose Trades anzubieten, wird verboten. Mit Hilfe der Regulierung ist es der Bankenlobby gelungen, der lästigen Konkurrenz die Existenzgrundlage zu entziehen. Neobroker wie Trade Republic haben bereits die Flucht nach vorne angetreten und eine eigene Vollbanklizenz beantragt und erhalten. Nur wenige Wochen nach Erhalt der Lizenz wurde das erste neue Produkt auf den Markt gebracht: eine Geldkarte mit Cashback-Funktion in einem ETF-Sparplan. Keine bahnbrechend neue Idee, aber geschickt verpackt und vermarktet. So standen bald eine Million Menschen auf der Warteliste für das Produkt.

Fintechs und Banken arbeiten in dieser dritten Epoche auch zusammen, wenn es sich ergibt und für beide Seiten vorteilhaft ist. Die anfängliche Stimmung des Gegeneinanders hat sich etwas aufgeweicht, vor allem aufgrund eines gemeinsamen Gegners: den Tech-Giganten oder den GAFAs (Google, Amazon, Facebook und Apple). Diese global agierenden Technologiekonzerne haben Netzwerkeffekte in ihrer DNA und scheinen unaufhaltsam zu wachsen, wodurch sie quasi Monopolstellungen erlangen. Mit ihrer gigantischen Marktmacht dringen die GAFAs auch in verschiedene Bereiche der Finanzwirtschaft vor, sei es im Bereich Payment, Versicherungen oder BNPL (Buy Now, Pay Later).

Trotz einiger bedeutender Erfolge der Fintechs auf verschiedenen Fronten bleiben große Durchbrüche aus. Zwar gibt es bedeutende Neobanken, Neobroker und Vermittler von Hypotheken oder Einlagen, doch für etablierte Banken ist dies nicht lebensbedrohlich geworden. Traditionelle Banken punkten weiterhin durch ihre Zuverlässigkeit, sowohl auf der Produkt- als auch auf der organisatorischen Ebene. Banken schließen nicht einfach ihre Türen, wenn die Finanzierung versiegt. Die Möglichkeit, die Bankverbindung nicht wechseln zu müssen, hat für Kunden auch eine gewisse Qualität.

Paypal nutzt inzwischen seinen Zugang zu den Kunden und baut sein Produktportfolio kontinuierlich aus. Ausgehend von Peer-to-Peer-Zahlungen über den Payment Service Provider hat sich Paypal zu einer umfassenden Plattform entwickelt. Heute bietet Paypal neben Händlerkrediten auch „Buy Now, Pay Later“ (BNPL) für Endkunden an.

Vierte Epoche – Fintechs besiegen Banken

Okay, langsam. Im Frühjahr 2024 ist es noch nicht so weit. Zwar feiern einige Fintechs große Erfolge, während andere aufgeben müssen, aber das große Bankensterben hat nicht begonnen. Jedenfalls noch nicht. Im Gegenteil: Das Ende der Niedrigzinsphase ermöglicht den Banken endlich wieder ordentliche Gewinne.

Ist der digitale Strukturwandel also vorbei? Nein, ganz und gar nicht. In fast allen Bereichen der Bankenwelt ist die interne digitale Transformation in vollem Gange. Einige sind weiter fortgeschritten, andere hinken hinterher. Branchenweit hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die Rahmenbedingungen am Markt immer schneller ändern. Flexibilität und Schnelligkeit sind die neuen Anforderungen an die Unternehmen. Zuverlässigkeit und Beständigkeit werden von den Kunden zwar nach wie vor geschätzt, sind aber zunehmend Voraussetzung für moderne Kundenkanäle und Finanzprodukte. Sie allein reichen nicht mehr aus.

Auch wenn der befürchtete große Sturm auf die Banken ausgeblieben ist, setzen Fintechs die Banken weiter unter Druck. Produktinnovationen entstehen eher in den unabhängigen Schnellbooten als in den großen Tankern. Die Volksbanken mögen noch über einen üppigen Kundenstamm verfügen, aber die Veränderungen in der Kundenstruktur erfordern weitere Transformationsanstrengungen. Fintechs sprechen erfolgreich Erwachsene in der ersten Lebenshälfte an. Fällt dieses Kundensegment bei den Volksbanken weg, bleiben nur die Kinderkonten und die älteren Kunden. Letztere haben zwar strukturell mehr Vermögen und sind daher sehr lukrative Kunden, haben aber den Nachteil, dass sie immer weniger werden. Wenn keine jüngeren Kunden nachkommen, stehen die Genossenschaftsbanken ohne Kunden da, was den absoluten Verlust der Existenzberechtigung bedeuten würde.

Doch auch die Fintechs haben viel gelernt. Zum Beispiel, dass die langsame Anpassungsgeschwindigkeit der Etablierten nicht ausreicht. Oder wie schwierig es ist, Kunden zu gewinnen. Schicke Apps und Websites reichen heute nicht mehr aus. Die Menschen vertrauen den Startups ihr Geld an, und Vertrauen entsteht durch Nutzung. Ein gordischer Knoten, an dem viele Fintechs scheitern. Und die Deutschen sind “sticky”, um nicht zu sagen träge. Sie wechseln statistisch gesehen eher den Ehepartner als die Bankverbindung. Die Neobanken finden etwas überrascht in einem Marathon wieder – und nicht in einem Sprintwettbewerb.

Aufgrund der erwähnten Skalen- und Netzwerkeffekte sind viele Fintechs zum Wachstum verdammt. Wenn jedoch die Finanzierung ausbleibt, wie es seit zwei Jahren seit dem Ende der Niedrigzinsphase der Fall ist, muss auch diese Strategie überdacht werden. Diese Dynamik wird sich aber wieder ändern, sobald wieder mehr Kapital fließt.

Die GAFAs arbeiten sich Schritt für Schritt in die Finanzwelt vor: Hier Payment, da Kredit, dort eine Versicherung. Das ist nicht unbedingt der große Masterplan, um Banken abzuschaffen, aber sie tun es immer dann, wenn sie damit ihr eigenes Ökosystem stärken können. Das Tückische daran ist, dass Unternehmen mit dieser Intention Finanzdienstleistungen anbieten können, ohne damit unbedingt Geld verdienen zu müssen. Gewinne werden gerne mitgenommen, sind aber nicht die Hauptmotivation. Auffällig ist auch, dass GAFAs kaum über eigene Banklizenzen verfügen. Das liegt nicht daran, dass sie die Komplexität und die regulatorischen Anforderungen nicht bewältigen könnten – wahrscheinlich könnten sie das sogar besser als Banken. Banklizenzen werden vermieden, weil sie aufgrund der erheblichen regulatorischen Risiken zu Abschlägen an der Börse führen können.

Wer wird also das Rennen machen – Fintechs, Banken oder GAFAs? Um diese Frage zu beantworten, bräuchte man eine Kristallkugel. Klar ist aber, dass diejenigen verlieren werden, die nicht einsehen wollen, dass sich alle Banken mitten in diesem Rennen befinden.

Die Beziehung zwischen Fintechs und Banken bleibt also kompliziert. Und jetzt, da mit den GAFAs eine Dreierbeziehung entstanden ist, wird sie noch komplexer. Was also tun? Wachsam bleiben und flexibel sein – das gilt für jede Bank als Ganzes und für jeden Einzelnen, der in einer Bank arbeitet.

Last modified: 10. Juli 2024